Sonntag, 29. Juni 2014

Man möchte brechen...

Da gehen wir Freitagnacht aus der Dorfkneipe nach Hause. Nach nicht ganz 500m liegt ein Schatten vorm örtlichen Dönerladen mitten auf der Straße. Ein Mann.

Regungslos. Schwach beleuchtet, vom Licht, dass zwischen den runtergelassenen Rollläden des Dönerladens hervorscheint.

Wie schnell man im Kopf einigermaßen nüchtern werden kann.

Ein Rundumblick. Offenbar keine Eigengefährdung. Ein Blick aus Entfernung. Eine laute Ansprache. Keine Reaktion. Und Blut. Viel Blut am Kopf und auf der Straße. Ein Rütteln und eine lautere Ansprache. Augen klappen auf. Langsam. Dezente Erleichterung.

Kehrt Marsch zum Dönerladen. Hier wird auch nach Ladenschluss noch gesoffen. Dorf eben. Die Tür ist zu. Ich spähe durch die Glastür. Hämmere daran. Mir wird aufgemacht.


Ich frage, ob der Mann draußen vorher hier war. Bekomme ein "Ja" als Antwort.

Ob die drinnen wüssten, dass er da lag und bekomme betretene Gesichter zur Antwort.

Ob mal jemand geguckt hat, ob er noch atmete nach dem Sturz und niemand kann mir mehr in die Augen sehen.


Ich wollte kotzen. In diesen Laden. In die vier stumpfen Gesichter, die ihren Saufkumpanen gehen und liegen ließen.

Wieder raus. Wir richten Ihn auf. Sitzend. Er ist betrunken aber ansprechbar. Versteht unsere Worte. Wir richten ihn vollends auf und bringen Ihn zur Treppe des Dönerladens. Unfassbar. Die Tür ist schon wieder geschlossen. Ich trete mit dem Fuß dagegen. Der Angestellte öffnet. Ich dränge ihn beiseite, hole den Verbandskasten aus der Küche. Dieser Laden ist mein Lieblingsdöner. War! Ich fasse es gar nicht.

Ich reiße den Verbandskasten von der Wand und kann derweil nicht aufhören, zu toben und zu schimpfen. "Unterlassene Hilfeleistung" ist noch mit das Freundlichste, was ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorbrachte.

Ich erkläre dem Gestürzten, der immer wacher wird, dass ich Rettungsdienstler bin und ihn untersuchen möchte. Er ist kooperativ. Ein Lieb-Betrunkener, immerhin. Er hat eine ziemlich üble Kopfplatzwunde, kann sich aber einigermaßen artikulieren und ist sogar bereit, ins Krankenhaus zu fahren. Er spürt die Schmerzen am Kopf. Sonst fehlt ihm nichts. Ich untersuche ihn trotzdem nochmal genau und rufe dann den Rettungswagen.

Die Kollegen kommen. Eine kurze Übergabe. Abschied von Axel, dem Patienten. Ein letzter wütender Blick Richtung Döner.

Wir gehen.

Feiglinge. Arschlöcher. Ich möchte die Polizei rufen und Anzeigen erstatten. Aber Axel wird heute Abend schon wieder mit Ihnen zusammen sitzen und trinken, da bin ich mir sicher. Ich aber werde den Laden besuchen, wenn der Chef da ist und zumindest Klartext reden. Vielleicht wird das dann mein letzter Besuch dort.

Ich bin Rettungsassistent, darum habe ich im Auge des Gesetzes eine Garantenstellung . Ich muss(!) und würde immer und jederzeit helfen.

Aber Angst vor Hilfeleistung kann ich sogar nachvollziehen. Oft sind die Umstände unklar und nicht immer ist man auf einem Dorf, wo man eigentlich eh jeden kennt. Man könnte sich selbst in Gefahr begeben. Gerade in Großstädten. Ich weiß. Aber jeder kann den Notruf wählen.

Und ja, die Wahrheit ist: Wir Rettungsdienstler hassen diese Einsätze. Wir werden nachts geweckt für besoffene Idioten. Wir packen ne Kompresse drauf und fahren unser "Päckchen" in die nächste Klinik. Wir hätten so schön schlafen können.

Und die eigentlich wirkliche Wahrheit ist: Wir Rettungsdienstler sind froh über jeden dieser Einsätze, der gut ausgeht. Hinkommen. Feststellen, dass alles halb so wild ist. Wundversorgung. Abfahrt.

Und wer von meinen lieben Retter-Kollegen noch nicht so denkt, nun, der ist noch nie zu einer "hilflosen, vollgepissten, blutenden, nicht ansprechbaren Person" gerufen worden,

die hilflos ist, weil sie gerade nen Herzinfarkt hatte.
die vollgepisst ist, weil alle Muskeln erschlafft sind.
die blutet, weil sie wegen des Herzinfarkts gestürzt ist.

und die nicht ansprechbar ist, weil sie tot ist.

Und die verdammt nochmal tot ist, weil ein Gestürzter mit ner Wunde am Kopf sofort als Besoffener abgestempelt wird.


Dabei ist Helfen so einfach. Uns kostete es zwanzig Minuten und einen Schuh voll Blut. Aber wir haben das Richtige gemacht.

Ich bitte Sie nicht darum, den Helden zu spielen.

Ich bitte Sie nur darum, so viel zu tun, wie sie sich zutrauen.
Und wenn es ein abgesetzter Notruf ist.

Jeder 16-jährige beginnt die Fahrausbildung mit einem Erste-Hilfe-Kurs. Wie lange ist Ihr letzter Kurs her, hm?

Helfen Sie, wenn Sie können. Nur: Sehen Sie nicht weg. Das ist zu einfach.









Abgründe!

Hallo.

Der Urlaub war toll. Ägypten war toll. Wir waren toll. Die Tollsten. Ganz sicher.

Danke. Tschüß. o/



P.S.:

Wir haben in diesem Urlaub genau zwei Menschen mit Namen kennengelernt.

Achmed, Chef der Strandbar. Weil er uns am ersten Tag aus eigenem Antrieb Getränke zur Strandliege brachte und wir uns mit, umgerechnet, einem (1!!) Euro bedankt haben. Er dankte mit einem Lächeln und stets guter Laune. Wir wurden großzügiger mit dem Trinkgeld und Achmed gab uns ein Wechselgeld aus Lachen und Scherzen. Und Bier. Zugegeben. Damit hatte er uns natürlich am Wickel.

Sherif, einfacher Angestellter im Speisesaal. Weil er morgens um acht zum Frühstück mit einem Lächeln zur Begrüßung da war und abends halb zehn beim Abendbrot immer noch gut gelaunt bedient hat. Weil er die perfekte Mischung aus frech, zuvorkommend und aufmerksam war.

Diese beiden haben unseren Urlaub mitgeprägt. Ist das nicht seltsam?

Nein. Gar nicht. Denn die Alternative waren laute, kackdreiste Buffet-Stalins oder schwafelnde, ungehobelte Bier-Churchills. Und das Traurigste: Die Russen und Engländer waren uns fast noch die liebsten Tischnachbarn, weil man, Muttersprache sei Dank, ihre Stimmen erfolgreich ausblenden konnte, während unsere lieben Landsmänner in allen erdenklichen deutschen Dialekten offenbar gen Ägypten zogen, um mit Mundwinkeln, die einer Angela Merkel zu hohen Ehren gereichen würden, jede Ecke eines 3-Sterne (Landeskategorie) Hotels zu inspizieren und zu nörgeln.

Verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch. Ich nörgele für mein Leben gern. Ich lästere, ich feixe über Missgeschicke anderer. Schadenfreude ist ja auch sehr deutsch.

Aber: Wenn man schon in der Schlange der Passkontrolle die ersten Dauer-Ägypten-Urlauber mit dieser unfassbar penetranten deutschen Beschwerdestimme nörgeln hört, dann möchte man diese Spinner an den Haaren zum nächsten Desinfektionsmittelspender zerren und ihnen die Münder ausspülen. Ich stelle mir gerne vor, wie man mit solch einer Stimme zu seinem Partner "Ich liebe dich" sagen kann. Das klingt sicher vorwurfsvoller, als Alfred Tetzlaff, wenn die SPD zur Sprache kommt.

Und wenn dann am ersten Tag der Reiseleiter wehleidig flehend, nach drei deutschen Beschwerden ("Zu unregelmäßig Wasser, Zimmer zu klein, Ich möchte umbuchen, mein Zehennagel ist eingewachsen") auf mich guckt. Und ich dann nur sagen kann: "Diese Deutschen, hm?" . Und er nur guckt und sich wundert, dass ausgerechnet ein Deutscher ihn versteht.

Und am dritten Tag die deutsche Touristenbetreuerin nicht fragt, ob alles gut ist, sondern welche Beschwerden wir wohl hätten und auf unser "Keine eigentlich" völlig verwirrt reagiert, dann kann sich einem schon ein kleiner deutscher Kotzebrocken im Hals bilden.

Meine lieben Mitdeutschen, ich empfehle Ihnen die Insel Usedom, auf der ich einst meine ersten Sporen im Rettungsdienst verdiente. Eine Woche Halbpension für 1000€ + x /p.P. Da reden dann auch alle Ihre Sprache und Sie müssen sich nicht darüber echauffieren, dass man Sie mit ihrem Ignorantenenglisch nicht versteht. Denn Sie müssen wissen: Menschen anderer Länder verstehen btw auch kein Deutsch, WENN... MAN... GAAAAANZ... LANGSAM.... SPRICHT. Nein!


Respektieren Sie, wohin Sie reisen. Dann wird man Ihnen auch dort Respekt entgegenbringen.


Shokran, Dschumhūriyyat Misr al-ʿarabiyya! <3


Dienstag, 17. Juni 2014

Dankbar neu anfangen.

Nochmal von vorne.


Wie fängt man neu an?


Es ist so viel passiert. So viel, was nicht in Worte zu fassen ist. Oder kaum. Oder sich nur im Kopf in immer wieder aufblitzenden Bildern manifestiert.

Mein Neuanfang soll ohne Groll sein. Ich möchte dankbar sein, dass ich überhaupt einen habe.

Dankbarkeit. Ja. Nicht die schlechten Gedanken an eigene und fremde Fehler sollen meinen Neuanfang begleiten sondern die Gedanken an all das Gute.

Danke.

Danke, Ex-Frau.
Du hast es geschafft, dass ich viele Ziele in meinem Leben erreicht habe, die mir unmöglich erschienen. Ich bin auch Dank dir der Mann, der ich heute bin.

Danke an meine Tochter.
Du hast mir gezeigt, wie einfach Liebe ist. Ich werde dich vermissen und so gut es geht der Vater sein und werden, den du verdienst.

Danke Oma.
Du hast mich neun Jahre nach dem Auszug wieder aufgenommen und gibst mir Sicherheit. Tut mir leid, wenn ich emotional nicht immer auf dich zugehen kann.

Danke Opa.
Du bist 18 Jahre tot. In meiner Erinnerung lebst du wie eh und je. Ich vermisse dich und hätte den ein oder anderen guten Ratschlag von dir gut gebrauchen können in den letzten Jahren. Oder vielleicht besser die ein oder andere Backpfeife.

Danke Jens.
Ohne Pointe. Du bist der Beste.

Danke Mema.
Ich habe mich in dich verliebt, als ich dich das erste Mal sah. Wir haben keine einfache Zeit und die Entfernung macht es nicht besser. Du gibst mir das Gefühl, ich könnte jederzeit vor deiner Tür stehen, dich anrufen, anschreiben oder oder oder. Du bist für mich da. Ich werde nie vergessen, was du in dieser schweren Zeit für mich getan hast oder wie schwer ich diese Zeit auch für dich gemacht habe.

Und:

Danke Leben.
Danke, du wankelmütiges Arschloch von Schicksal.
Danke an all die Twitterer, die mit Trost und Rat oder einfach <3´s zur Stelle waren.

Und jetzt Augen geradeaus. Seitenblicke sind nur noch gestattet um Kindern und hübschen Menschen zuzuzwinkern. Es wird alles anders. Es wird nicht einfacher. Nur anders.

Arschbacken zusammenkneifen und los.


Beginnen wir mit einem Kurzurlaub in Ägypten.



Danke.



Mittwoch, 29. Januar 2014

Ein Herz, verteilt.
Auf viele Haufen.

Ein Haus voller Umzugskartons.
Nur meine.

Im Sinn die.
Angst vor der Zukunft, die
Hose
bis zum Anschlag
voll.

Muss wohl so sein.
Mal gucken.

Und keiner da.
Der sagt.

Alles wird gut.

Wird alles gut?

Nicht alles.
Aber das meiste. Immer.